Den Kraftstoffverbrauch messen – aber bitte richtig!

Selbst wer sich bei der Wahl seines nächsten Autos eher von Emotionen leiten lässt, an dessen Spritverbrauch kommt auch er – oder sie – nicht vorbei. Um einen objektiven Vergleich zwischen den einzelnen Fabrikaten und Modellen zu ermöglichen, erfolgt die Verbrauchsmessung seitens der Hersteller innerhalb der EU nach einer einheitlichen Prozedur: Auf einem Rollenprüfstand ist ein für alle Pkw gültiger Fahrzyklus, der „Neue Europäische Fahrzyklus“ (NEFZ), zu durchfahren. Das ist der gleiche Zyklus, mit dem auch die Abgasemissionen gemessen werden, jedoch ergänzt um einen sogenannten Schnellfahrteil. Ist schließlich das Auto gekauft, so stellt der stolze Besitzer überrascht fest, dass es sehr viel mehr Benzin oder Diesel verbraucht, als im Prospekt angegeben. Einige Käufer machen ihrer Enttäuschung in wütenden Leserbriefen Luft, aber die meisten schlucken den Ärger.

Jedoch, diese im großen und ganzen stoische Hinnahme einer branchenweiten Fehlinformation könnte ein jähes Ende finden. Nämlich dann, wenn die Hersteller beim Überschreiten eines gesetzlichen CO2-Limits dafür Strafe zahlen müssen – die letzten Endes der Kunde mit einem höheren Preis zu begleichen hat. Doch das ist noch lange nicht alles. Viel gravierender ist, dass dieser längst nicht mehr neue NEFZ, wie noch gezeigt wird, zu falschen Zielvorgaben bei der Entwicklung von Autos führt.

Kurzer Rückblick

Die Kontroversen um die Aussagekraft „amtlich“ ermittelter Verbrauchswerte sind so alt, wie die relevanten Vorschriften selbst. Um die Irreführung durch die viel zu günstigen Verbrauchsangaben nach der alten DIN 70020 zu beenden, wurde 1978 in Europa der „Drittelmix“ eingeführt. An den Abgaszyklus, der den innerörtlichen Verkehr simulieren soll, wurden zwei weitere „Zyklen“ angehängt, beide genau so lang, wie der Stadtzyklus: konstant 90 km/h und 120 km/h für Landstraße und Autobahn. Die über die drei Abschnitte gemittelte Geschwindigkeit betrug 76 km/h. Es bürgerte sich ein, die drei einzelnen Messwerte zu dem sog. (inoffiziellen) Drittelmix zusammenzufassen. Aber das Ergebnis konnte nicht befriedigen: Die so ermittelten Verbräuche lagen noch immer weit unter den im Fahralltag beobachteten.

Die Gegenwart

Diesem Manko sollte mit dem 1996 eingeführten „Neuen Europäischen Fahrzyklus“ (NEFZ) ein für alle mal abgeholfen werden. Der Stadtzyklus blieb erhalten, die beiden Konstantfahrten wurden durch einen kurzen Schnellfahrzyklus ersetzt; er enthält Beschleunigungsphasen, und ganz kurzzeitig wird Tempo 120 km/h erreicht. Mit einer mittleren Geschwindigkeit von nur 32,5 km/h ist dieser NEFZ extrem langsam. Ein Zuckeltrab; ganz und gar unrealistisch, wie Kenner der Materie schon vor seiner Einführung warnten (siehe AR Nr.49 vom 30. November 1995, S.27/28). Kein Wunder, dass auch die dieserart ermittelten Verbräuche völlig daneben liegen; wiederum sind sie viel zu niedrig (siehe Kerschbaum & Marquardt (1997)).

Und auch das wurde vorausgesagt: Neben einer Täuschung der Verbraucher führt dieser Zyklus zwangsläufig zu einer Verfälschung der Zielvorgaben bei der Entwicklung. Ausgerechnet derjenige Fahrwiderstand, der sich am kostengünstigsten reduzieren lässt, nämlich der Luftwiderstand, wird infolge des amtlich verordneten Kriechtempos völlig unterbewertet. Das unter anderem mit der Folge, dass die Reduzierung des Luftwiderstandes seit Einführung des NEFZ auf breiter Front nahezu zum Stillstand gekommen ist.

Dieser Mangel des NEFZ ist den Fahrzeugherstellern natürlich nicht verborgen geblieben. Einige von ihnen sind deshalb darangegangen, eigene Zyklen zu kreieren (siehe Reiser et al. (2008)). Es gelang, das modellspezifische Fahrverhalten typischer Kunden in repräsentativen Fahrkurven abzubilden. Die Resultate sind frappierend: Im Vergleich zum NEFZ spielen in den OEM-eigenen Zyklen die Fahrwiderstände eine weit größere Rolle. Insbesondere der Luftwiderstand. Seine Reduzierung führt zu einem bis zu dreimal so hohen Verbrauchsgewinn, wie nach dem NEFZ!

Die Realität auf der Straße

Wie sieht es in der Wirklichkeit aus? Das zu klären bemühen sich solche Organe, die sich den Autofahrern verpflichtet fühlen: Autozeitschriften und Automobilclubs. Drei unterschiedliche Wege wurden dabei beschritten:

  • Ganz pragmatisch geht die Automobil Revue (AR) zu Werke: Jedes Testfahrzeug wird einem Redaktor des Testteams zugeordnet, der es täglich fährt. Der dabei ermittelte Verbrauch liegt, so die AR, um 0,5 bis 1 l/100km über den Herstellerangaben (gemessen im NEFZ), tendenziell bei größeren und aufgeladenen Motoren etwas mehr. Beim Diesel in der Regel 1 l/100 km.
  • Auto Motor Sport (ams) fährt die Testfahrzeuge auf seiner „Normrunde“ im öffentlichen Verkehr. Sie ist 202 km lang, führt durch Ortschaften, über Land- und Bundesstraßen sowie über die Autobahn. Sie wird in verkehrsarmen Zeiten durchfahren. Eine Höhendifferenz von 290 m ist zu überwinden. Die lokalen Geschwindigkeitsbegrenzungen werden strikt eingehalten; auf nicht begrenzten Autobahnabschnitten wird Tempo 130 km/h gefahren. Mit jedem Testwagen wird der Kurs zweimal umrundet.
  • Ganz ingenieurmäßig geht der Allgemeine Deutsche Automobil Club (ADAC) vor: Gemeinsam mit der FIA wurde der EcoTest entwickelt. Die Messung des Verbrauchs (und der Emissionen) wird, wie bei den Fahrzeugherstellern auch, auf einem zertifizierten Rollenprüfstand durchgeführt. An den NEFZ wird ein Autobahnabschnitt von etwa gleicher Länge angefügt. Er enthält zwei Arten von Beschleunigungen: von 80 auf 130 km/h, wie beim Überholen von Lkw und von 110 auf 130 km/h wie beim Passieren von Pkw. Die Spitze wird auf 130 km/h begrenzt.

Tabelle: Verbräuche in l/100 km; NEFZ und ams Test aus ams 22/2008, ADAC & FIA aus EcoTest (www.ecotest.eu).

Typ NEFZ ams
Test-Verbrauch
ADAC & FIA
EcoTest
VW Golf VI 1,4 TSI 6,0 8,6 6,94
Ford Fiesta1,6 16V 5,9 7,6 6,78
Audi A4 2,0 TDI
Ambition
5,1 6,8 6,13
BMW 318d 4,7 6,4 5,33
Mercedes C 200
CDI Blue Efficiency
5,1 6,9 Noch nicht im
EcoTest

Der Vergleich der Messwerte zeigt: Die von ams ermittelten Verbräuche liegen deutlich über denen aus dem NEFZ. Was davon auf das Konto der Höhendifferenz des Kurses geht und was einem (nicht bezifferten) höheren Durchschnittstempo anzulasten ist, kann anhand der vorliegenden Daten nicht differenziert werden. Die vom ADAC im EcoTest gemessenen Werte liegen zwischen denen aus den beiden anderen Tests. Nach Feedback von den Mitgliedern geben sie die Realität gut wieder. Ein Versuch mit 30 Fahrern aus dem Hause ADAC, die fünf Kleinwagen im Alltagsverkehr bewegten, ergab sogar eine sehr gute Übereinstimmung mit dem ADACEcoTest (siehe ADACmotorwelt 11, Nov. 2008). Vom oben diskutierten Zyklus nach Reiser et al. liegen keine Zahlen vor.

Fazit

Vergleichbarkeit ist ein notwendiges, aber keineswegs ein hinreichendes Kriterium für einen brauchbaren Zyklus. Das sei all denen ins Stammbuch geschrieben, die mit dem Hinweis auf eben diese Vergleichbarkeit jedwede Diskussion über realistischere Zyklen im Keim zu ersticken versuchen. Kein Zweifel, der NEFZ liefert vergleichbare Werte. Aber, er berücksichtigt nicht, wie die Fahrzeuge tatsächlich gefahren werden. Das hat zur Folge, dass der Verbrauch zu niedrig ermittelt und dass der Einfluss verschiedener physikalischer Parameter auf den Verbrauch falsch bewertet wird. Besonders krass trifft das auf den Luftwiderstand zu, der marginalisiert wird. Kein Wunder: Seit Einführung des NEFZ ist seine Entwicklung hin zu niedrigeren Werten nahezu zum Stillstand gekommen. Die damals (1995) gestellte Prognose hat sich leider voll erfüllt.

Um diese amtlich verordnete Fehlentwicklung zu beenden, ist es an der Zeit, endlich einen Messzyklus einzuführen, der sich an der Realität orientiert, nicht an Bürokratie oder gar an Politik. Und zu dem gelangt man, indem man ganz pragmatisch vorgeht: also, den NEFZ beibehalten und ihm, wie mit dem EcoTest praktiziert, einen echten Schnellfahrzyklus anhängen.

WHH 3.12.2008

Literatur

Kerschbaum, H., Marquardt, M. (1997): Die Aerodynamik des neuen 5er BMW, 2. Stuttgarter Symposium Kraftfahrwesen und Verbrennungsmotoren, Ed. U. Essers, FKFS, Stuttgart, pp. 496 - 510.
Reiser, C., Zellbeck, H., Härtle, C., Klaiß, T. (2008): Kundenfahrverhalten im Fokus der Fahrzeugentwicklung., ATZ, Vol. 110, no. 07, pp. 684 - 692.
Woll, T. (2005): Verbrauch und Fahrleistungen. Kap. 3 in Hucho, W.-H. (Hrsg): Aerodynamik des Automobils, 5. Aufl. Wiesbaden: Vieweg Verlag.


 

 

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